gepostet von Jennifer Guist Alsfeld
'Johannes' v. Heinz Körner
..ein kleiner Auszug:
“Bitte höre, was ich nicht sage! Laß dich nicht von mir
narren. Laß dich nicht durch das Gesicht täuschen, das
ich mache. Denn ich trage tausend Masken - Masken, die
ich fürchte abzulegen. Und keine davon bin ich. So zu
tun als ob ist eine Kunst, die mir zur zweiten Natur
wurde. Aber laß Dich dadurch nicht täuschen, um Gottes
Willen, laß Dich nicht von mir narren. Ich mache den
Eindruck, als sei alles sonnig und heiter in mir, innen
wie außen, als sei mein Name Vertrauen und mein Spiel
Kühle, als sei ich ein stilles Wasser und als könne ich
über alles bestimmen, so als brauchte ich niemanden.
Aber glaub mir nicht, bitte, glaub mir nicht! Mein
Äußeres mag sicher erscheinen, aber es ist meine Maske.
Darunter ist nichts Entsprechendes. Darunter bin ich,
wie ich wirklich bin: verwirrt, in Furcht und alleine.
Aber ich verberge das. Ich möchte nicht, daß es irgend
jemand merkt. Beim bloßen Gedanken an meine Schwächen
bekomme ich Panik und fürchte mich davor, mich anderen
überhaupt auszusetzen. Gerade deshalb erfinde ich
verzweifelt Masken, hinter denen ich mich verbergen
kann:
eine lässige, kluge Fassade, die mir hilft, etwas
vorzutäuschen, die mich vor dem wissenden Blick
sichert, der mich erkennen würde. Dabei wäre dieser
Blick gerade meine Rettung. Und ich weiß es. Wenn er
verbunden wäre mir Angenommenwerden, mit Liebe. Das ist
das einzige, das mir die Sichheit geben würde, die ich
mir selbst nicht geben kann: dass ich wirklich etwas
wert bin. Aber das sage ich Dir nicht. Ich wage es
nicht.
Ich habe Angst davor. Ich habe Angst, daß dein Blick
nicht von Annahme und Liebe begleitet wird. Ich füchte,
Du wirst gering von mir denken und über mich lachen -
und Dein Lachen würde mich umbringen. Ich habe Angst,
daß ich tief drinnen in mir selbst nichts bin, nichts
wert, und daß Du das siehst und mich abweisen wirst. So
spiele ich mein Spiel, mein verzweifeltes Spiel: eine
sichere Fassade außen und ein zitterndes Kind innen.
Ich rede daher im gängigen Ton oberflächliches
Geschwätz.
Ich erzähle Dir alles, was wirklich nichts ist, und
nichts von alledem, was wirklich ist, was in mir
schreit; deshalb laß Dich nicht täuschen von dem, was
ich aus Gewohnheit rede. Bitte höre sorgfältig zu und
versuche zu hören was ich nicht sage, was ich gerne
sagen möchte, was ich um des Überlebens willen rede und
was ich nicht sagen kann. Ich verabscheue
Versteckspiel. Ehrlich! Ich verabscheue dieses
oberflächliche Spiel, das ich da aufführe.
Es ist ein unechtes Spiel. Ich möchte wirklich echt und
spontan sein können, einfach ich selbst, aber Du mußt
mir helfen. Du musst mir Deine Hand ausstrecken, selbst
wenn es gerade das letzte zu sein scheint, was ich mir
wünsche. Nur Du kannst diesen leeren, toten Glanz von
meinen Augen nehmen.
Nur Du kannst mich zum Leben rufen. Jedesmal, wenn Du
freundlich und sanft zu mir bist und mir Mut machst.
Jedesmal, wenn Du zu verstehen versuchst, weil Du Dich
wirklich um mich sorgst, bekommt mein Herz Flügel -
sehr kleine Flügel, sehr brüchige Schwingen, aber
Flügel. Dein Gespür, Dein Mitgefühl und die Kraft
deines Verstehens hauchen mir Leben ein. Ich möchte daß
Du das weißt.
Ich möchte, daß Du weißt, wie wichtig Du für mich bist,
wie sehr Du aus mir den Menschen machen kannst, der ich
wirklich bin - wenn du willst. Bitte, ich wünschte, Du
wolltest es. Du allein kannst die Wand niederreißen,
hinter der ich zittere. Du allein kannst mir die Maske
abnehmen. Du allein kannst mich aus meiner Schattenwelt
aus Angst und Unsicherheit befreien - aus meiner
Einsamkeit. Übersieh mich nicht. Bitte - bitte. Übergeh
mich nicht! Es wird nicht leicht für Dich sein. Die
lange andauernde Überzeugung wertlos zu sein schafft
dicke Mauern. Je näher du mir kommst, desto blinder
schlage ich zurück. Ich wehre mich gegen das wonach ich
schreie.
Aber man hat mir gesagt, daß Liebe stärker sei als
jeder Schutzwall und darin liegt meine Hoffnung. Bitte
versuche die Mauern einzureißen mit sicheren Händen,
aber mit zarten Händen: ein Kind ist sehr empfindsam.
Wer ich bin magst du fragen? Ich bin jemand, den Du
sehr gut kennst. Denn ich bin jedermann, den Du
triffst, jeder Mann und jede Frau, die Dir begegnet.”
Danke für die Zeilen..
Der Mensch hat dreierlei Wege klug zu handeln:
erstens durch nachdenken, das ist der edelste,
zweitens durch nachahmen, das ist der leichteste,
und drittens durch Erfahrung, das ist der bitterste.
Die Geschichte von der Traurigkeit
von Inge Wuthe
Es war eine kleine Frau, die den staubigen Feldweg entlang kam.
Sie war wohl schon recht alt, doch ihr Gang war leicht und ihr Lächeln hatte den frischen Glanz eines unbekümmerten Mädchens. Bei der zusammengekauerten Gestalt blieb sie stehen und sah hinunter. Sie konnte nicht viel erkennen.
Das Wesen, das da im Staub des Weges saß, schien fast körperlos. Es erinnerte an eine graue Flanelldecke mit menschlichen Konturen. Die kleine Frau bückte sich ein wenig und fragte:" Wer bist Du?"
Zwei leblose Augen blickten müde auf.
"Ich? Ich bin die Traurigkeit", flüsterte die Stimme stockend und so leise, dass sie kaum zu hören war.
"Ach, die Traurigkeit!" rief die kleine Frau erfreut aus, als würde sie eine alte Bekannte begrüßen.
"Du kennst mich?" fragte die Traurigkeit misstrauisch.
"Natürlich kenne ich dich! Immer wieder hast du mich ein Stück des Weges begleitet."
"Ja, aber...." argwöhnte die Traurigkeit, "warum flüchtest du dann nicht vor mir? Hast du denn keine Angst?"
"Warum sollte ich vor dir da davonlaufen, meine Liebe?
Du weißt doch selbst nur zu gut, dass du jeden Flüchtigen einholst. Aber was ich dich fragen will: Warum siehst du so mutlos aus?"
"Ich......ich bin traurig", antwortete die graue Gestalt mit brüchiger Stimme.
Die kleine, alte Frau setzte sich zu ihr.
"Traurig bist du also", sagte sie und nickte verständnisvoll mit dem Kopf. "Erzähl mir doch, was dich so bedrückt."
Die Traurigkeit seufzte tief. Sollte ihr diesmal wirklich jemand zuhören wollen? Wie oft hatte sie sich das schon gewünscht.
"Ach, weißt du", begann sie zögernd und äußerst verwundert, "es ist so, daß mich einfach niemand mag. Es ist nun mal meine Bestimmung, unter die Menschen zu gehen und für eine gewisse Zeit bei ihnen zu verweilen. Aber wenn ich zu ihnen komme, schrecken sie zurück. Sie fürchten sich vor mir und meiden mich wie die Pest."
Die Traurigkeit schluckte schwer.
"Sie haben Sätze erfunden, mit denen sie mich bannen wollen. Sie sagen: Papperlapapp, das Leben ist heiter. Und ihr falsches Lachen führt zu Magenkrämpfen und Atemnot. Sie sagen: Gelobt sei, was hart macht. Und dann bekommen sie Herzschmerzen. Sie sagen: Man muß sich nur zusammenreißen. Und sie spüren das Reißen in den Schultern und im Rücken. Sie sagen: Nur Schwächlinge weinen. Und die aufgestauten Tränen sprengen fast ihre Köpfe. Oder aber sie betäuben sich mit Alkohol und Drogen, damit sie mich nicht fühlen müssen."
"Oh ja", bestätigte die alte Frau, "solche Menschen sind mir schon oft begegnet."
Die Traurigkeit sank noch ein wenig mehr in sich zusammen. "und dabei will ich den Menschen doch nur helfen. Wenn ich ganz nah bei ihnen bin, können sie sich selbst begegnen. Ich helfe ihnen, ein Nest zu bauen, um ihre Wunden zu pflegen. Wer traurig ist, hat eine besonders dünne Haut. Manches Leid bricht wieder auf wie eine schlecht verheilte Wunde, und das tut weh. Aber nur wer die Trauer zulässt und all die ungeweinten Tränen weint, kann seine Wunden wirklich heilen. Doch die Menschen wollen gar nicht, dass ich ihnen dabei helfe. Statt dessen schminken sie sich ein grelles Lachen über ihre Narben. Oder sie legen sich einen dicken Panzer aus Bitterkeit zu."
Die Traurigkeit schwieg.
Ihr Weinen war erst schwach, dann stärker und schließlich ganz verzweifelt. Die kleine, alte Frau nahm die zusammengesunkene Gestalt tröstend in die Arme. Wie weich und sanft sie sich anfühlt, dachte sie und streichelte zärtlich das bittere Bündel.
"Weine nur, Traurigkeit", flüsterte sie liebevoll, "ruh dich aus, damit du wieder Kraft sammeln kannst. Du sollst von nun an nicht mehr alleine wandern. Ich werde dich begleiten, damit die Mutlosigkeit nicht noch mehr an Macht gewinnt."
Die Traurigkeit hörte auf zu weinen.
Sie richtete sich auf und betrachtete erstaunt ihre neue Gefährtin. "Aber.....aber......- wer bist du eigentlich?"
"Ich?" sagte die kleine, alte Frau schmunzelnd, und dann lächelte sie wieder so unbekümmert wie ein kleines Mädchen. "ICH BIN DIE HOFFNUNG"
Von meinen Sohn, der im Moment eine schwere Zeit zu überstehen hat.
Ich bin im Glashaus.
Der Raum, fünf Schritte in der Länge, in der Breite.
Mit ausgestreckter Hand kann ich die Decke erreichen.
Tisch, Bett, Stuhl, jeder Gegenstand ist gläsern. Auch
ich bin durchsichtig bis zu Blutbahnen und Organen,
Knochen, Sehnen, Nerven. Dahinter ist ein Garten,
darunter Gras, über mir der Himmel. Keine Öffnung ist
in der gläsernen Umfriedung, trotzdem kann ich atmen.
Spiegelnde Lappen, meine Lungen, heben und senken sich
gleichmäßig. Bei Dunkelheit ist das einzige Licht das
schwache Glimmen zahlloser Sterne. In hellen
Mondnächten lese ich lange in gläsernen Büchern, bis
die Müdigkeit meine Augen verschließt. Während ich
schlafe, bringt man mir gläsernes Essen und klare
Flüssigkeit.
Am Morgen, wenn ich im zaghaften Dämmer erwache, esse
und trinke ich und versinke in zeitloser Bewunderung
des Gartens, der im Licht des werdenden Tages im
zartestem Grün, gehauchtem Blau, erahntem Rot und
schweigendem Schwarz aus dem Schatten der Nacht gelöst
zu leuchten beginnt. Viele, gleichmäßig fliesende Tage
verbringe ich im Glashaus. Ich empfinde die
Zerbrechlichkeit meiner Existens, doch flößt mir dies
keine Sorge, keine Angst ein.
Dann entsteht in mir der Wunsch, das gläserne Heim zu
verlassen und den Garten zu betreten. Ich will den
Wind, der Blüten und Blätter bewegt, spüren und die
Früchte der Bäume kosten. Die Sehnsucht wächst in all
den Tagen.
Das Gesicht gegen die gläserne Wand gelegt, bin ich
traurig und verzweifelt. Ich warte und hoffe, dass mich
etwas dem Wunder des Gartens näher bringt. Ich weiß
nicht, wie ich den Garten erleben werde, in mir sind
nur der Wunsch und die Gewissheit einer quälenden
Wirklichkeit. Ich hasse den gläsernen Käfig! Ich kann
in dieser gläsernen Haube nicht mehr leben. Ich will
hinaus, will wissen, wie die goldfarbenen Früchte
schmecken, die violetten Blumen duften, wohin der Pfad
führt, wo niemand gegangen ist.
Ich vergesse die Zeit, in der das Glashaus für mich das
äußerste Glück war. Rastlos gehe ich zwischen den
lichten Wänden, voller Ungeduld gegen die reglose Welt,
die mich umgibt, verfluche die Schattenlosigkeit und
Stille meines Zwischenlebens, die Einsamkeit und
Unabänderlichkeit meines Nicht-Seins. Ich schlage und
trete gegen die gläsernen Wände, glitzernde Sprünge
laufen durch die Flächen. Sie Unsicherheit meines
Bestehens verleugnend, habe ich mich aus meiner
Sicherheit begeben.
Das Glashaus zerbricht und
ich mit ihm.